Als Arzt gelobe ich feierlich, mein Leben in den Dienst der Menschlichkeit zu stellen


                                                                                                                                            

z. H.

Herrn

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn

Friedrichstraße 108

10117 Berlin

Dresden, den 23.07.2020

    

                                 

Dr. Ingrid Heimke

Dresden, den 23.07.2020

                                                                                             

Konflikt zwischen ärztlicher Berufsordnung und geändertem Infektionsschutzgesetz

Sehr geehrter Herr Bundesgesundheitsminister Spahn,

wir sind hausärztlich arbeitende Ärzte und wenden uns mit der Bitte um ein Gespräch mit Ihnen an Sie.

Impfungen sind täglich ein Teil unserer ärztlichen Arbeit. Grundlage für die Impfberatungen in unseren Praxen bilden die Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (STIKO), bzw. für die Kollegen aus Sachsen die Empfehlungen der Sächsischen Impfkommission (SIKO), welche sich stark an den Empfehlungen der STIKO orientieren.

Seit dem 1.3. stehen fast alle Familien, welche sich für eine partnerschaftliche Zusammenarbeit bei Erziehung und Erwerbstätigkeit entscheiden, vor der Situation, dass sie ihr Lebensmodell nur dann umsetzen können, wenn sie ihre Kinder gegen Masern, Mumps und Röteln impfen lassen. Für die Mehrheit der Patienten ist dies kein Problem, weil sie diese Impfung ohnehin für ihr Kind gewählt hätten.

Im Falle einer Ablehnung der MMR-Impfung entsteht aber faktisch eine Zwangssituation um die wir als impfende Ärzte wissen und welche wir nicht ignorieren können, wenn wir guten Gewissens unsere  Arbeit verrichten möchten. 

Die Entscheidung, über den eigenen Körper, beruht bei diesen Familien jetzt nicht mehr auf einer persönlichen Abwägung nach ärztlicher Beratung, sondern wird von außen diktiert. Dies mag bei oberflächlicher Betrachtung auf den ersten Blick im Ergebnis keinen Unterschied zur eigenständig getroffenen Entscheidung  darstellen und vor dem aktuellen Ziel einer maximal hohen Impfquote auch wünschenswert erscheinen. Für diesen kurzfristigen Erfolg einer hohen Impfquote zahlen aber sowohl die Patienten als auch die Ärzte einen zu hohen Preis, denn es wird ohne epidemiologische Notsituation die vertrauensvolle Zusammenarbeit von Ärzten mit ihren Patienten zerstört. Per Gesetz wird ein kollektiver Bruch mit der ärztlichen Berufsordnung verfügt.

Seit 30 Jahren ist es in ganz Deutschland Konsens, dass gesundheitliche Entscheidungen in aller Regel auf Freiwilligkeit beruhen. Dieser Konsens findet in den ärztlichen Berufsordnungen (BO) der Länder in vielfältigen Formulierungen seine schriftliche Verankerung. Die Berufsordnungen, welche in Westdeutschland spätestens seit 1962 die ethische Grundlage ärztlicher Arbeit bilden, entstanden mit der Erfahrung, welche schrecklichen Entwicklungen ärztliches Wirken nehmen kann, wenn ein anerkannter, ethischer Konsens über rechtmäßige ärztliche Arbeit fehlt.

Das geänderte IfSG bringt uns in mannigfaltige Widersprüche mit der geltenden ärztlichen BO, beispielsweise dem ärztlichen Gelöbnis; mit der Maßgabe unser Handeln am Wohl des Patienten auszurichten und nicht das Interesse Dritter darüber zu stellen; mit der Anforderung den anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zu beachten (§2), vor allem mit dem Recht des Patienten „Nein“ sagen zu können ohne persönliche Nachteile befürchten zu müssen, kurz: seinem Selbstbestimmungsrecht (§7), letztlich verbietet es auch der ärztliche Berufsauftrag, „diagnostische oder therapeutische Methoden unter missbräuchlicher Ausnutzung […] der Hilflosigkeit von Patienten anzuwenden“(§11).

Befürworter des geänderten IfSG wenden nun ein, die aktuelle Situation sei keine Zwangssituation, da die Eltern selbst die Impf-Entscheidung treffen. Diese Argumentation zeugt im günstigsten Fall von Realitätsferne, denn praktisch sind die meisten Eltern aus materiellen Gründen gezwungen auf ihre im Grundgesetz garantierten bürgerlichen Freiheiten zu verzichten. Auch wenn die BO von uns Ärzten fordert „selbst unter Bedrohung, mein medizinisches Wissen nicht zur Verletzung von Menschenrechten und bürgerlichen Freiheiten an[zu]wenden.“, sind wir praktisch selbst gezwungen die Zwangssituation der Eltern zu ignorieren und als notwendige Dritte eine staatlich erzwungene Behandlung auszuführen.

Ihnen ist sicher bekannt, dass es international sehr unterschiedliche ärztliche Empfehlungen bezüglich des Zeitpunktes der ersten und zweiten Masernimpfung gibt. Bisher wurden bei den in Sachsen praktizierenden Kollegen die Kinder nach den

sächsischen Empfehlungen geimpft. Dies ist nun aus materiellen Gründen den wenigsten Familien möglich. Die sächsischen Empfehlungen haben bisher das internationale Wissen um die negativen Folgen eines sehr frühen Impfzeitpunktes in Bezug auf Masern, aber auch auf Mumps, relativ gut berücksichtigt, wurden nun aber im Zuge des neuen IfSG ohne wissenschaftliche Begründung praktisch aufgehoben. Im Anhang finden Sie eine epidemiologische Auswertung der in Summe sehr günstigen Masernfallzahlen von Sachsen im Vergleich zu Gesamtdeutschland. In 15 von 18 Jahren lag die Fallzahl pro

100 000 Einwohner unter dem Bundesdurchschnitt.

Da wir gemäß unserer BO dazu verpflichtet sind, bei unserer ärztlichen Arbeit den anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zu beachten, geraten die sächsischen Kollegen unter uns bei Anwendung eines nun staatlich erzwungenen, ungünstigeren, Impfschemas hier in besonderer Weise in eine weitere Konfliktsituation mit der BO.

Im Zusammenhang mit dieser Problematik interessiert uns als Ärzte sehr, in welcher Form die medizinischen Folgen des geänderten IfSG wissenschaftlich begleitet werden.

Zusammenfassend bringt uns Ärzte das geänderte IfSG in einen unlösbaren Widerspruch mit der Ärztlichen Berufsordnung, konkret unter anderem mit dem ärztlichen Gelöbnis, dem Anspruch medizinische Behandlungen unter Beachtung des anerkannten Standes der medizinischen Erkenntnisse durchzuführen, mit dem Selbstbestimmungsrecht des Patienten und mit dem Verbot die Hilflosigkeit des Patienten auszunutzen.

Wir können aktuell als Ärzte nicht gleichzeitig dem geänderten IfSG und der Berufsordnung gerecht werden. Eine Nachfrage bei der Sächsischen Landesärztekammer hat in dieser Angelegenheit keine Lösung aufzeigen können. Dies wurde damit begründet, dass eine Ärztekammer kein Bundesgesetz aufheben könne. Dies ist verständlich. Es löst aber das Problem nicht, dass wir Ärzte beiden rechtlichen Vorgaben gerecht werden müssen. Hier sehen wir Sie als Gesundheitsminister in der Pflicht, Gesetze zu erarbeiten, welche vereinbar mit den geltenden ethischen Standards in der Medizin sind.

Wir bitten Sie dringend, die von uns angesprochenen Probleme ernst zu nehmen und sich einem Dialog zu öffnen, welcher neben den berechtigten Interessen des Gemeinwohls auch die Interessen des Einzelnen über sein körperliches Selbstbestimmungsrecht und die ethischen Pflichten von uns Ärzten adäquat berücksichtigt.

Über eine Möglichkeit zum persönlichen Gespräch mit Ihnen würden wir uns sehr freuen.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. med. Ingrid Heimke                              und 9 weitere im Original unterschreibende Fachärztin für                                                  Kollegen                                                                 

Kinder-und Jugendmedizin                                                       

Anhang: Konfliktpunkte der BO mit dem IfSG,

Epidemiologische Auswertung Masernfallzahlen Sachsen,